Sehr geehrter Herr Stadtrat Hacker,
geschätzte Mitleserschaft!
Ich habe aus den Medien von den Plänen erfahren, dass Wien seine Radrennbahn verlieren soll. Dazu möchte ich mich äußern.
Ich bin seit fast dreißig Jahren Radsportler, habe mit zehn Jahren mit dem Sport in einem Wiener Radsportverein begonnen und habe es in meiner sportlichen Karriere bis zum Nationalteamfahrer
gebracht. Nach dem Ende meiner Sportlerlaufbahn bin ich dem Radfahren im Alltag und dem Radsport auf Amateur-Niveau verbunden geblieben. Ich habe Anfang der Neunziger Jahre im Ferry Dusika Radstadion
das Bahnradfahren erlernt - es war die Grundlage für meine erfolgreiche Sportlerkarriere, die mich im Nationalteam bis zur Teilnahme an einem Bahn-Weltcuprennen und zahlreichen internationalen
Rundfahrten auf der Straße gebracht hat. Im Radsport ist der Bahn- und Straßensport eng miteinander verbunden, gerade für Athleten Ausdauerbereich auf der Bahn ist der Straßenradsport essentiell. Und
umgekehrt bringt einem Straßenradsportler die technische und physiologische Ausbildung des Bahnradsports sehr große Vorteile - so sind die erfolgreichsten Österreichischen Radprofis der letzten Jahre
allesamt auch erfolgreich auf der Radrennbahn gefahren: Rene Haselbacher, Bernhard Eisel, Marco Haller, Patrick Konrad und Matthias Brändle ... Es waren in den vergangenen Jahrzehnten stets die
Bahnradsportler, die für die größten Erfolge des Radsports bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften sorgten, sei es Roland Königshofer in den neunziger Jahren, Franz Stocher in den
2000ern oder die Erfolge von Andreas Graf und Andreas Müller in den 2010er Jahren - ohne die Radrennbahn im Ferry Dusika Stadion wären diese Erfolge nicht denkbar gewesen. Aber auch Breitensport ist
zu einem gewissen Grad auf der Radrennbahn möglich - denn ohne einer breiten Basis sind keine Erfolge im Spitzensportbereich möglich. In den letzten Jahren (vor Corona) hat es auf der Wiener
Radrennbahn eine erfreuliche Entwicklung gegeben, so haben immer mehr Amateur- und Hobbysportler den Weg auf die Wiener Radrennbahn gefunden. Beim Radsport und besonders beim Bahnradsport ist der
Zugang zum Sport nicht gerade niederschwellig - denn abgesehen von teurem Material muss man für den Trainings- und Wettkampfbetrieb auf der Radrennbahn eine Lizenz über einen Radsportverein lösen und
eine eigene Ausbildung absolvieren - dies aus versicherungs- und sicherheitstechnischen Gründen. Dass die Auslastung eines teuren Radstadions unter diesen Gesichtspunkten nicht so hoch ist wie die
einer Laufbahn, wo man nur ein Paar Laufschuhe benötigt, ist verständlich. Natürlich kann man die mangelnde beziehungsweise nicht vorhandenen Werbeaktivitäten des Radsportverbands für unseren Sport
kritisieren - meiner Meinung nach hat man sich von Verbandsseite immer zu sehr nur auf die wenigen Spitzen-Athleten konzentriert. Dennoch ist der ersatzlose Abriss des Radstadions für unseren Sport
eine Katastrophe -- viele Sportler, die sich mehr schlecht als recht wirtschaftlich über Wasser halten können und dennoch Weltklasseleistungen bringen, stehen wohl bald vor einem Scherbenhaufen. Ich
habe den Medien entnommen, dass Sie die Streichung der Wiener Radrennbahn auch mit der niedrigen Auslastung begründen (
https://wien.orf.at/stories/3084436/) - zuletzt sollen nur mehr 16 Person die Radrennbahn genutzt haben - diese Argumentation ist in Corona-Zeiten mit Zugangsbeschränkungen
geradezu eine Verhöhnung (ich glaube sogar, man kann die Zahl von 16 Benutzern leicht als absichtliche und manipulative Lüge enttarnen), denn die Radrennbahn ist wegen der Corona-Zugangsbestimmungen
seit fast einem Jahr für "Normalsterbliche" außerhalb des Spitzensport- und Nationalteam-Bereichs vollkommen untersagt! Auf
https://radsportverband.at/index.php/aktuelles/radsport-news/allgemein/5225-keine-alternative-zur-wiener-radrennbahn kann man übrigens nachlesen, dass
der Verband in Ihre Planungen um die Streichung des Bahnradsports aus der Palette der möglichen Sportarten in Wien offenbar NICHT eingebunden war ...
Ich glaube, ich muss Sie als Gesundheitsstadtrat nicht an die positiven "Nebenwirkungen" des Sports und des Radsports im Besonderen erinnern. Denn nicht nur als Leistungssport ist das Radfahren einer
der gesündesten Sportarten, den man bis ins hohe Alter betreiben kann - auch im Alltag ist das Radfahren für eine zukunftsträchtige Mobilitätswende nicht wegzudenken. Auch was diesen Punkt betrifft,
könnte man den Radsportverband mehr in die Pflicht nehmen, dort sollte man sich halt auch mehr Gedanken um die Sorgen von Alltagsradfahrern machen, anstatt nur den Niedergang einer der einst
beliebtesten Sportarten zu verwalten. Die Lizenzstände im Rennbereich des Radsports gehen seit Jahrzehnten zurück, erst seit wenigen Jahren wird der Amateur-Bereich (zum Beispiel bei
Breitensportveranstaltungen wie Radmarathons) beliebter - leider ohne Auswirkung auf den katastrophal niedrigen Lizenzstand im Nachwuchs-Radsport. In diesem Punkt hat man zweifelfrei im
Österreichischen Radsportverband und im Wiener Radsportverband beide Augen vor den Problemen zugedrückt und der Miss-Entwicklung über Jahre hinweg zugeschaut ohne darauf zu reagieren. Dennoch frage
ich Sie - welche teure Sport-Infrastruktur hat ihre Baukosten "eingespielt"? Und wie kann man das rechnen? An der reinen Auslastung? An dieser Stelle sei mir die Frage erlaubt, wozu es in unserer
Stadt notwendig ist, dass die beiden Fußball-Bundesliga-Vereine Austria und Rapid jeweils ein brandneues Stadion besitzen, deren Baukosten die Stadt Wien mit finanziert hat - und das vor dem
Hintergrund, dass es ja auch das Ernst-Happel-Stadion für Fußballspiele gibt. Muss man immer alles nur in Euro beziffern können? Vielleicht können Sie als Gesundheitsstadtrat darauf eine
befriedigende Antwort geben ... fette Kinder mit Diabeteserkrankungen etc. benötigen Bewegung ... tägliche Turnstunde ... Radfahr-Ausbildung (warum nicht auch auf einer Radrennbahn)? Meine
zehnjährige Tochter fährt seit Ausbruch der Corona-Epidemie ausschließlich mit dem Fahrrad in die Schule (ich begleite sie dabei). Sie ist sogar schon zwei Kinder-Radrennen gefahren ... wie gerne
hätte ich ihr auch das Radfahren auf einer Radrennbahn beigebracht, wo ich selbst für fast dreißig Jahren den Radrennsport erlernte, im Ferry Dusika Radstadion. Genauso wie meine älteste Tochter
sollen auch deren jüngere Schwestern das Radfahren erlernen - nicht nur zu Sport-Zwecken, sondern auch zur Alltags-Mobilität. Gerade in Zeiten des Klimawandels ist das Radfahren für eine
Millionenstadt wie Wien wichtiger denn je! Die ERSATZLOSE Schließung des einzigen Radstadions Österreichs (mit der Begründung der schlechten Auslastung und der hohen Kosten) ist diesbezüglich eine
verheerende Botschaft. Wie soll man dies interpretieren? "Wir woin jo scho, dass ihr Radlfahrts ... aber bitte nur in der Hauptallee ... und auf die Radlwege!" Oder wie?
Ich war Ende der Neunziger Jahre gerade ein hoffnungsvolles Nachwuchstalent im Radsport und habe damals miterlebt wie das Ferry-Dusika-Stadion wegen Renovierungsarbeiten für mehr als ein Jahr
gesperrt war. Das war für Spitzensportler eine harte Zeit, denn es gibt im Umkreis von Wien keine vergleichbare Radrennbahn, wohin man für Trainingszwecke ausweichen kann. In ganz Österreich
existiert keine einzige andere Radrennbahn! Schon damals wurde diskutiert, ob man die Radrennbahn überhaupt wieder errichten soll ... ich kann mich erinnern, dass die Renovierung des Stadions mitsamt
Neubau der Radrennbahn einen dreistelligen Millionenbetrag (in Schilling) gekostet haben soll. Aber was sind solche Kosten auf die Nutzungsdauer aufgerechnet? Was sind solche Kosten auf
Gesundheitskosten, die für die Behandlung von Krankheiten durch Bewegungsmangel, entstehen? Was sind diese Kosten im Vergleich zu den Kosten des Klimawandels wegen CO2-Ausstoß im Verkehr? Ohne den
Leistungssport in meiner Kindheit wäre ich sicherlich nicht zu dem radfahr-begeisterten Menschen geworden, der schon auf seinen ökologischen Fußabdruck achtete, als die breite Bevölkerung noch nicht
einmal wusste, welche Folgen der Klimawandel und die Erderwärmung haben. In diesem Sinne will ich auch meine Kinder erziehen ... Ich sage nicht, dass dies ohne Radrennbahn in Wien unmöglich wäre ...
Aber man muss sich Gedanken um Alternativen machen!
Bevor es das Ferry-Dusika-Stadion in Wien gab, gab es eine Aschenbahn, auf der neben Leichtathletik-Wettkämpfen auch Radrennen stattgefunden haben. Ich kenne die Aschenbahn, die beim heutigen
Ernst-Happel-Stadion war, nur aus Erzählungen - vielleicht können Sie sich noch persönlich daran erinnern. Es sollen dort tolle Radsportveranstaltungen stattgefunden haben. Heute gibt es als
Alternative zur Radrennbahn in Wien nur die Donauinsel - auf Höhe der Steinsportbrücke gibt es einen kleinen Rundkurs, das sogenannte "Cyclodrom", ich vermute, es ist nicht einmal Ihnen als
Sportstadtrat bekannt. Schon beim Bau der Donauinsel wurde dieser Kurs extra für den Radsport angelegt. Genauso wie im Ferry-Duskia-Stadion gibt es seit Jahrzehnten auf dem Cyclodrom tolle
Wettkämpfe, ich bin dort im Jahr 1991 eines meiner ersten Radrennen auf der Straße gefahren. Das Cyclodrom befindet sich dort, wo jetzt der Wildwasserkanal für Kajak- und Rafting-Sportler ist
(
https://www.viennawatersportsarena.at/). Als der Wildwasserkanal errichtet wurde, wurde
dem Cyclodrom ein halber Kilometer Rundenlänge und sein Hügerl, das sich kurz nach der Start/Ziel-Gerade befand, weg genommen. Die Rundenlänge hat sich dadurch von 1.500 Meter auf 1.000 Meter
verkürzt. Der Wildwasserkanal wurde vor einigen Jahren um viele Millionen Euro gebaut - wie sieht es da mit der Auslastung aus? Ich bezweifle, dass ein Betrieb einer solchen Anlage nicht ohne
finanzkräftige Sponsoren (zuerst Verbund, jetzt Wien Energie) und Zuzahlungen seitens der Stadt möglich ist (die Sponsorentätigkeit der Wien Energie ist ja nicht unbedingt eine unpolitische Sache -
Wiener Stadtwerke). Es wird mit der Wichtigkeit für die Olympia-Sportart Wildwasser-Kanu argumentiert ... Gilt dieses Argument für den Radsport, der zweifelsfrei an Medaillen erfolgreicher und in der
öffentlichen Aufmerksamkeit noch immer über dem Kajaksport einzuordnen ist, nicht? Das verbleibende Cyclodrom liegt nun jedenfalls versteckt hinter dem Wildwasserkanal. Es gibt nicht einmal einen
ordentlichen Zugang zum neuen Start-/Ziel-Bereich (entweder geht man über einen Wald- und Wurzel-Weg durch ein Wäldchen oder man geht einen Umweg von einem ganzen Kilometer. Will man so Zuschauer zu
Radrennen anlocken? Beim Cyclodrom gibt es kein WC oder eine Möglichkeit sich vor Regen unterzustellen - geschweige denn Duschmöglichkeiten; man steht in der Wiese, wenn man sich seine Nummer vor dem
Start ans Trikot heftet, so stelle ich mir den Radsport in den Nachkriegsjahren vor ... Ich weiß nicht, ob jemals jemand von Österreichischen oder Wiener Radsportverband jemals mit diesen Missständen
an Sie heran getreten ist. Ich habe mir jedenfalls schon seit einigen Jahren gedacht, dass ich einen Brief an den Wiener Sport-Stadtrat schreiben will, in dem ich die katastrophalen Missstände das
Cyclodrom betreffend anspreche. Nun tue ich dies zusammen mit meinem Protest gegen die Schließung der Wiener Radrennbahn. Denn die Bedeutung des Cyclodroms nimmt im Falle einer ersatzlosen Streichung
der Wiener Radrennbahn für den Radsport (und auch für den Breitensport und für das Alltagsradfahren) unheimlich zu. Wo, wenn nicht hier, könnte man so etwas wie einen Ersatz für die Wiener
Radrennbahn errichten? Schon als die Donauinsel gebaut wurde, soll geplant gewesen sein, an der Stelle des Cyclodroms eine offene Beton-Radrennbahn zu errichten - ein Plan, der durch die Errichtung
des Ferry-Dusika-Radstadions ad acta gelegt wurde. Nun wäre es wichtiger denn je, ein Zentrum für den Radsport UND das Radfahren im Allgemeinen in Wien zu haben! Es sollten möglichst ALLE Bereiche
des Radfahrens - vom BMX-Fahren bis zum Bahnradsport, vom Alltagsradfahren zum Arbeitsplatz bis zur Österreich-Radrundfahrt - vertreten sein. Ich bezweifle, dass dies ausschließlich mit dem
Österreichischen Radsportverband als Partner möglich sein wird, denn die Protagonisten dort sind leider ideenlos und unkreativ - wie gesagt, hier wurde in den letzten Jahrzehnten nur der Untergang
einer einst wichtigen Sportart zu einer Randsportart, die ihren Sportlern kaum mehr eine wirtschaftliche Lebensgrundlage bieten kann, verwaltet. Es ist wichtig eine breite Basis anzusprechen, die
alle Bereiche des Radfahrens abbildet. Alltagsradfahren IST Leistungssportföderung und Leistungssport IST Förderung des Alltagsradfahrens - und dies könnte man an Zahlen messen, wenn man wollte
(Radverkehrsanteil, gestoppte Klimaerwärmung, weniger Gesundheitskosten für Bewegungsmangel-Krankheiten UND Olympia- und Weltmeisterschaftsmedaillen).
In diesem Sinne freue ich mich auf Ihre Antwort!
Mit freundlichen Grüßen, Bernhard Redl